Die Sprache der Negativität: Wie die Politik die Corona-Maßnahmen sprachlich vermittelt

Ein Plädoyer gegen Negativitätsbias und für eine positive Sprache

„Lockdown so lange es dauert“, „Corona ist außer Kontrolle“, „Explodierende Zahlen“, „ein jeden Tag näher rückender Lockdown“, „Naturkatastrophe“ und „Unheil“: Das und Ähnliches hören wir seit März letzten Jahres. Was für Wirkung erzielt solche Sprache und was macht die mantraartige Wiederholung solcher Ausdrücke mit den Menschen? Dieser Artikel handelt nicht von den politischen Maßnahmen des Bundes und der Länder. Er handelt allein von der sprachlichen Vermittlung der Pandemie, die von der Politik eingesetzt wird.

Die Sprache beschäftigt nicht nur die Sprachwissenschaft – Selbst der Moderator Markus Lanz entdeckte im Herbst die Kraft der Worte : „Ich habe gelernt, in dieser Pandemie Sprache ist ein ganz, ganz sensibler, neuralgischer Punkt“. In seiner Talkshow kritisierte er mehrmals (15.10., 19.12) im Gespräch mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder den „Alarmismus“ der politischen Kommunikation in Bezug auf Covid-19. Wie Lanz bemerkte, Söder lobe sich selber für den härtesten Coronakurs im Land. „Auch das Adjektiv hart in dem Zusammenhang finde ich kein gutes Adjektiv. Der beste Corononakurs, das würde mir einleuchten. Das verströmt so etwas wie Zuversicht. Aber der härteste Coronakurs: das macht mir Angst und vielen anderen auch. Warum muss das sein?“ – fragt der Moderator. Für Söder sind jedoch hart und konsequent Synonyme: „Wir können darüber streiten, ob es Ihnen hart besser gefällt oder konsequent. Entscheidend ist, was hinten dabei rauskommt “. Bei diesem Punkt würden einige Journalist*innen womöglich widersprechen, inwiefern diese Wörter in der Praxis der bayrischen Coronabekämpfung austauschbar sind. Mir geht es hier jedoch um den Sprachgebrauch und die Sprachsensibilität. Aus Söders Antwort wird den Zuschauer*innen klar, dass Sprache für den Bayrischen Ministerpräsidenten ausschließlich dem politischen Zweck dient und deshalb sie in seinen Reden mit aller Gewalt zurechtgebogen wird. Wer sich mit den härtesten Maßnahmen brüstet, greift zu einem Superlativ, der in seiner Bedeutung nichts mit konsequent, gut oder erfolgreich zu tun hat, sondern das Synonym von autoritär, streng, aggressiv und schmerzvoll ist. Markus Söder greift darüber hinaus gern zu plastischen Bildern: „Die ganze Welt wird von Corona in die Fesseln genommen.“ (9.12.) Er versteht diese Art der Kommunikation als ein Zeichen der Ehrlichkeit und hält sie für nötig, damit die Menschen die Pandemie endlich ernst nehmen. Wie ernst die Menschen die Pandemie trotz einer Sprache der Angst, Verbote und Härte nehmen, lässt sich an den täglichen Infektionszahlen sowie an den vollen Rodelpisten ablesen.

Während Söder die Sprache als Volksdisziplinierungsmittel einsetzt, beschwört der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach des Öfteren sprachliche Hoffnungslosigkeit herbei. Er erklärte am 9. Dezember bei phoenix in einem Interview in Bezug auf Biontec: „Die nächsten drei Monate werden die härtesten der Pandemie überhaupt sein. Mit großem Abstand.“ Schon im vorsommerlichen „Öffnugsjubel“ wurde er durch seine Voraussagen zu Kassandra stilisiert. Er sprach beispielsweise bei Anne Will (18.05.) über eine mögliche zweite Welle: „Wenn die Fälle wieder zunähmen im Herbst (…)  dann sollten wir es noch einmal überlegen, dann müssten wir das Feuer wieder austreten. Wahrscheinlich wird eine zweite Welle kommen.“ Dass es dazu tatsächlich kommen musste, werden Wissenschaftler*innen rückblickend vielleicht sagen können. Allerdings kombiniert Lauterbach in diesem Satz seine Kassandra-Botschaft mit einem euphemistischen Bild, das projiziert, die Regierung könnte die Pandemie als Superheldin mit einem kurzen aber entschlossenem Auftritt aus der Welt schaffen unbeachtet auf jegliche Kollateralschäden. Natürlich war die Verbalisierung des Lockdowns nicht angebracht zu einem Zeitpunkt, als die Politik einen zweiten Lockdown noch komplett ausschloss. Es stellt sich allerdings die Frage, wie diese Phraseologie zu verstehen ist. Man soll es bedenken, wenn über Fälle, steigende Zahlen und eine zweite Welle oder eben, wie in diesem Fall, über das Feuer austreten gesprochen wird, eigentlich Menschen gemeint sind.

Wir werden von der Politik langsam seit einem Jahr bevormundet, die vorschreibt, was wir nicht machen dürfen, wir werden vor Schreckenszenarien gemahnt und müssen uns anhören, um wie viel Wochen welche Maßnahme zu unserem Wohlergehen verlängert werden muss. Die Politiker*innen bedienen sich dabei bewusst einer negativen Sprache, um „Negativitätsbias“ – einen negativen Effekt bei den Zuhörer*innen zu erzielen. Der sozialpsychologische Hintergrund des Negativitätsbias ist, dass negative Gedanken, Gefühle oder Erlebnisse psychisch stärker als neutrale oder positive auswirken, und besser in Erinnerung bleiben (Stangl, 2020). Die Politik erhofft demzufolge, wenn auch nicht unbedingt auf sozialpsychologischer Basis, mehr Aufmerksamkeit mit solcher Kommunikation zu erreichen, als mit einer positiver Sprache. Das Problem mit dem auf die negativen Entwicklungen konzentrierenden Sprachgebrauch ist, dass sie gleichzeitig Angst, Wut und andere negative Gefühle schürt, was gerade bei dieser mehrfachen  ̶  gesundheitlichen, seelisch-mentalen, existentiellen – Belastung langfristig kontraproduktiv sein kann. Darüber hinaus ermuntert diese Sprache die Leute überhaupt nicht, die von der Kanzlerin geforderte große „Kraftanstrengung“ aufzubringen. Ganz im Gegenteil, sie ruft Coronamüdigkeit herbei.

Diesen durch die Kommunikation herbeiführten Negativitätsbias sowie unbedachte Übernahme englischer Ausdrücke beanstandete[ZT1]  die Kommunikationswissenschaftlerin Diana Rieger: „Wenn wir von ’sozialer Distanzierung‘ sprechen, würde ich mir wünschen, dass wir mehr die Chance sehen, durch dieses Verhalten Tausende Menschen retten zu können, statt immer nur die Einschränkungen dadurch.“ Mit ihrer Kritik ist sie nicht allein. Auch die Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin Regula Venske plädiert dafür, unsere Worte bedacht zu wählen – wer soziale Distanz fordert, sollte sich dessen bewusst sein, dass sozial im Deutschen auch Bedeutungen wie ‚Solidarität’, ‚Fürsorge’ und ‚Gemeinsein’ mitträgt. „Vielleicht hält das Virus unser Land eher besetzt, und wir müssen als Partisanen in Scharmützeln kleinräumig seine Infrastruktur sabotieren?“ fragte [ZT2] wiederum Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim noch im April nach Metaphern, die weitaus geeigneter sind, das Wirken und die Eindämmung eines unsichtbaren Virus verstehbar zu machen, als diejenige, die gerade in der öffentlichen Kommunikation im Umlauf sind.

Sowohl sprachliche Disziplinierung als auch Schwarzmalerei tendieren also dazu, andere Effekte zu erzeugen, als worauf die Politik mit ihnen abzielt. Die eine unterstellt den Bürger*innen pauschal Leichtsinnigkeit und will sie bevormunden, die andere nimmt ihnen die Hoffnung auf die Wiederkehr des Lebens mit allen Freiheitsrechten und damit schadet die Kommunikation der Politiker*innen momentan mehr als hilft. Positive Botschaften sind dabei unerlässlich, um in dieser schweren Zeit solidarisch zueinander zu bleiben und unsere mentale Gesundheit zu schonen. Wir müssen die echten menschlichen Kontakte vor Augen führen, die wir – sobald wir die Pandemie in Griff kriegen  ̶ wieder pflegen können, auch, wenn noch mit Abstand und Maske, was im Vergleich zu der jetzigen Situation schon ein gewaltiger Schritt weg von der Entmenschlichung der Gesellschaft wäre. Deswegen plädiere ich für ein Umdenken des sprachlichen Corona-Vermittlung der Politik. Statt einer negativen und passiven Sprache sollte die Politik mit positiven Botschaften arbeiten, Ziele formulieren, und nicht das hervorheben, was die Gesellschaft nicht machen kann oder darf, sondern das, was sie machen sollte und wie sie dafür belohnt wird.

Ich möchte dies an einigen sprachlichen Beispielen demonstrieren.

Söder sprach am 14. Dezember auf der Pressekonferenz unter dem Motto „Ehrlichkeit statt falschem Optimismus“ darüber, dass es für die Verlängerung oder Aufhebung des Lockdowns nach dem 10. Januar auschlaggebend sein wird, ob die Maßnahmen ausreichen, die Inzidenzzahlen runterzudrücken. In diesem Satz impliziert das Subjekt Maßnahmen, dass die Menschen passive Wesen sind, die sowohl das Virus als auch die Maßnahmen einfach über sich ergehen lassen. Da Untersuchungen gezeigt haben, dass eine Großzahl an Infektionen in Familienkreisen stattfindet, können wohl die Menschen gegen die Verbreitung der Pandemie aktiv werden und damit indirekt auch die Maßnahmen beeinflussen. Deswegen sollen es nicht die Maßnahmen sein, sondern die Bürger*innen, die durch ihr Verhalten die Inzidenzzahlen runterbringen. Aus diesem Grund könnte, sogar sollte die Politik den Menschen Lockerungen als Ziel versprechen. Dementsprechend wäre es viel klüger den Satz umzuformulieren und sagen *Wenn die Menschen auch während der Feiertage bedacht handeln, werden sie durch ihr Verhalten die Inzidenzzahlen runterdrücken. In diesem Fall könnten Lockerungen nach dem 10. Januar erfolgen.

Der Bayrische Ministerpräsident bedient sich in Bezug auf die Pandemiebekämpfung gern des Pluralis Majestatis, also der ersten Person Plural: „wie gut wir die Zahlen senken können“ und meint er dabei die Exekutive seines Bundeslandes. Diese Formulierung transportiert die Botschaft, dass die Politik und allen voran er als der Drachentöter heilige Georg in Panzer bereit steht, mit seiner Lanze die Infektionsketten durchzubrechen. Bestimmt trägt er mit seiner beispielhaften Einhaltung der AHA-Regeln und noch darüber hinaus zur Bekämpfung von Covid-19 bei. Jedoch sollten alle Staatsbürger*innen zu diesem „heroischen“ Kampf eingeladen und unter „wir“ alle verstanden werden und nicht allein die Politikmacher*innen in Bayern.

Auch Angela Merkel kommuniziert trotz ihrer rhetorisch sehr überzeugenden Ansprache an die Nation am März 2020, die sehr stark auf den aktiven Beitrag der Staatsbürger*innen in der Pandemiebekämpfung setzte, seit Herbst verstärkt mit negativem Vorzeichen: „Wir werden im ersten Quartal noch nicht so viele Impfungen durchführen können, dass wir eine signifikante Änderung der Situation in der Bevölkerung spüren können.“ (9.12.) Sie hätte den Satz lieber positiv formuliert: *Auch wenn wir im ersten Quartal noch nicht so viele Impfungen werden durchführen können, dass wir eine signifikante Änderung der Situation in der Bevölkerung werden spüren können, werden die Bürger und Bürgerinnen Deutschlands ab Ende Dezember mit bis zu 100.000 Impfungen pro Tag rechnen können. (Momentaner Wert liegt bei pro Tag [ZT4] im Durchschnitt. Im Vergleich plant Israel 200.000 Impfungen pro Tag[ZT5] .) Natürlich geht der hypothetische Satz aus aufrichtigen Anstrengungen der Politik hinsichtlich des Impfens aus.

Zur Geduld aufzurufen ist ebenso ein fester Bestandteil des Pandemiediskurses der Politiker*innen, wie Markus Söder es bei Markus Lanz tat :„Es ist eine Geduldsache. Es braucht einen langem Atem“ (15.10.), Wenn er die Pandemie mit einem Langstreckenlauf vergleicht, wäre es viel effektiver, die positiven Perspektiven sowie Zukunftsvorstellungen in den Vordergrund der medialen Kommunikation zu stellen. Auch wenn wir noch nicht wissen, wann, aber wie die Pest oder die spanische Grippe (die übrigens aus den USA kam, nur so viel zu Trumps „China Virus“) wird auch COVID-19 irgendwann aus unserem Leben verschwinden oder zumindest in der Unbedeutsamkeit versinken. Und darauf müssten wir hinarbeiten, nicht nur in den Laboren, sondern auch durch die Sprache der Hoffnung und Zuversicht, die nicht mit Verharmlosung, Kleinreden oder dem Erwecken falscher Hoffnungen zu verwechseln ist. Manchmal findet sich die Kanzlerin zu diesem Sprachgebrauch wieder, wenn sie solche Sätze formuliert: „Zeigen wir, Menschen, was in uns steckt. Indem wir uns auch jetzt, im Winter (…) an die Regeln halten, die für uns alle gelten. Weil wir erleben werden, dass es sich lohnen wird. Weil wir so gemeinsam stärker sein werden“ (Videopodcast von 28.10). Diese Sprache begreift die Bürger*innen als Subjekte, nicht als Objekte, zeigt  ̶ wenn auch vage  ̶   Ziele auf und setzt auf gemeinsame Werte wie Solidarität. Solche Kommunikation könnte viel mehr erreichen als sprachliche Reglementierung, apokalyptische Visionen und Schwarzmalerei. Dafür soll sich die Politik der Macht der Sprache bewusst werden sowie die appellative Funktion der Sprache richtig einsetzen. Um die Staatsbürger*innen im Coronadiskurs zu keinen Untertanen werden zu lassen, die der Laune ihrer Feudalherren und dem Schicksal ausgeliefert sind, soll die Politik die Menschen auch sprachlich einladen, aktive Gestalter*innen ihrer Zukunft zu sein. Man kann nämlich nur Subjekte in die Verantwortung nehmen. Dies gälte dann sowohl für die Bürger*innen, als auch für die Politiker*innen.

Verwendete Literatur
Stangl, W. (2020). Negatives zieht mehr an als Positives – bemerkt. Was Stangl so bemerkt.
WWW: https://bemerkt.stangl-taller.at/negatives-zieht-mehr-an-als-positives/ (2020-12-10).


 [ZT1]https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-sprache-angst-kommunikation-100.html – -1https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-sprache-angst-kommunikation-100.html

 [ZT2]https://ids-pub.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/9748/file/Lobin_Kommunikation_in_der_Coronakrise_2020.pdf

 [ZT4]https://rp-online.de/panorama/coronavirus/corona-impfungen-aktuelle-zahlen-fuer-deutschland-von-heute-15012021_aid-55434707

 [ZT5]https://www.juedische-allgemeine.de/israel/200-000-impfungen-pro-tag/