Ich kam am 1. September, einem Samstag am Flughafen Rinas an. Ich schreibe Rinas, obwohl der einzige internationale Flughafen Albaniens Tirana International Airport „Nënë Tereza” heißt. Der Flughafen bekam nach der Seligsprechung der gebürtigen Skopjanerin den Beinamen „Mutter / Nënë Tereza”. Rinas heißt eigentlich das nächstgelegene Dorf.

Der Minibus brachte mich vom Flughafen bis zum Sheshi i Skenderbeut, d.h. zum Skenderbegplatz, dem Stadtzentrum. Das Bild des Stadtzentrums wandelte sich gewaltig seit den vier Jahren, als ich das letzte Mal eine längere Zeit in Tirana verbracht hatte. Das Zentrum wurde zur Fußgängerzone. Dies, anbetracht dessen, wie „autogeil” die Albaner sind, war ein erheblicher Unterschied und ein großer Schritt in die Richtung nachhaltige Stadt. Obwohl böse Zungen behaupten, der Umbau wurde von der Türkei getragen und diene der Frömmigkeit. Es sollen nämlich auch diejenige beten können, die bisher draußen stecken blieben, weil die älteste Moschee der Stadt mittlerweile zu klein ist. Ob dies stimmt, weiß ich nicht, aber es hat nicht geschadet. So können die Bewohner der Stadt das Stadtzentrum als sozialer Raum (zurück)erobern. Heute ist der Platz zwischen dem Nationalmuseum, der Nationalbibliothek und der Et’hem Bej Moschee komplett mit Steinplatten bedeckt. Am südlichen Ende des Platzes, inmitten einer kleinen Grünanlage erhebt sich der Nationenretter, der Türkenjäger, der große Held der Albaner: Skenderbeg und bewacht die Stadt.

Zum Glück konnte ich schon vor meiner Reise eine Unterkunft finden. Das dreistöckige Haus, in dessen zweiten Stockwerk sich die Wohnung befindet, steht genau hinter dem Gebäude der Fremdsprachenfakultät und ganz in der Nähe des Stadtparks. Das Haus gehört einem älteren Ehepaar. Sie bewohnen die untere Wohnung des Hauses, gehen jeden Morgen um sieben Uhr in einen Park spazieren, trinken am Wochenende Raki auf der Dachterrasse und beobachten die Gegend. Sie sind die besten Vermieter ever. Die nettesten, hilfsbereitesten Leute, die ich je kennengelernt habe. Ihr warmherziger Empfang machte die ersten Tage einfacher. Mir war ja Albanien nicht unbekannt, trotzdem bedeutete die Sprachassistenz eine Riesenveränderung. Erstmal musste ich mich seit langen Jahren ohne meine andere Hälfte (Maik) zurechtfinden. Aber es ging irgendwie schon. Der Alltag war einerseits nicht so aufregend im positiven Sinne, andererseits war ich nicht ganz alleine, da ich schon einige Leute hier kannte. So fiel mir die Decke an den ersten Tagen nicht auf den Kopf. Außerdem begann der einmonatige Kurs schon zwei Tage nach meiner Anreise – oder ich erhoffte es so zumindest.

Informationen zum Sprachkurs konnte man im Netz nirgendwo finden. Es gab nur Erfahrungsberichte ein-zwei ehemaliger Teilnehmerinner und vage und unüberprüfbare Aussagen einiger von den hiesigen Dozenten. Dies störte mich nur soweit, dass der DAAD vorab die Informationen verlangte, um später die Kursgebühren zu erstatten. So begann ein langer E-Mailwechsel zwischen mir dem Direktor der Abteilung. Der Direktor, der sich am ersten Kurstag stolz als Leiter des Sprachkurses vorstellte, wirkte auf mich in unserem E-Mailverkehr genervt und unwissend. Seine Antworten wichen von den nachhinein erscheinenden spärlichen Informationen auf der Homepage der Fakultät ab, weswegen ich so dreist war, dass ich ihn im Sommer mit meinen E-Mails belästigte. Seine letzte Antwort auf meine Frage, ob er die Informationen der Homepage in einer E-Mail offiziell bestätigen könne, lautete: Er habe dazu (als Direktor!!!!) keine Befugnisse und er sei sowieso im Urlaub. Die Angaben der Homepage sollen stimmen. Basta. Ich zuckte mit den Achseln und übersetzte dem DAAD seine Antwort Wort für Wort. Auf mein größtes Erstaunen wurde der Zuschlag für den Sprachkurs genehmigt. Ich entdeckte vor dem Kursbeginn sogar ein Online-Anmeldformular zum Kurs. Ich füllte es aus und verschickte es, damit es in eines der schwarzen Löcher des Netztes landet – ich bekam nie eine Bestätigung. Natürlich auch keine Einladung. Nichts. Am Montag, als ich den Kursbeginn erahnte, ging ich in die Uni und versuchte die Abteilung für Albanologie zu finden. Langsam versammelten sich ein paar Ausländer, die auch am Kurs teilnehmen wollten. Wir wurden in einen Vorlesungssaal hineingetrieben. Und wir warteten. Und warteten. Und warteten. Bis ein paar Dozentinnen auftauchten und uns einen Einstufungstest ausfüllen ließen. Danach durften wir gehen. Am nächsten Tag wurden wir aufgrund unserer Testergebnisse in Gruppen eingestuft. Ich kam in die Gruppe B2. Wir waren nur drei Personen. Ich bin ein großer Fan von Kleingruppen, aber diese Situation war bisschen verstörend. Vor allem, da die eine Person, ein serbischer Student, nach zwei Wochen wegen seiner Prüfungen den Kurs abbrechen und nach Belgrad zurückkehren musste. So blieben Vladimir und ich. Vladimir war ein angenehmer Co-Student aus Sofia. Er kam immer zu spät. Manchmal nur 10 Minuten, was kein Problem darstellte, weil 10 Minuten auch bei unserer Dozentin die Regel waren. Manchmal aber kam er 20-30 Minuten zu spät. Er betritt den Raum immer voller Ruhe. Er schleifte sich zu einem Tisch, setzte sich, packte seinen Laptop aus, klappte ihn auf und begann die Buchungen eines bulgarischen Reisebüros zu bearbeiten, für das er arbeitete. Ab und zu beantwortete er eine Frage der Dozentin oder füllte flüchtig den Lückentext aus. Er scheute sich nicht, ständig nachzufragen, wo wir im Text stehenblieben oder was die Aufgabe sei. Ich fühlte die ganze Zeit Fremdschämen.

Die Kursbücher wurden von der Fakultät zur Verfügung gestellt. Die Autoren waren die Dozenten der Fakultät. Eigentlich waren das Lehrbuch und das Aufgabenheft gar nicht so schlecht aufgebaut. Die behandelten Themen waren aktuell, und gelegentlich gab es auch sinnvolle Aufgaben. Oft mussten wir jedoch grammatische, sogar sprachwissenschaftliche Aufgaben lösen, die gar nichts mit dem Spracherwerb oder dem Sprachgebrauch zu tun hatten. Zum Beispiel das Ausfüllen von Verb- und Adjektivtabellen oder Kategorisierung der verschiedenen Wortgattungen aufgrund von Wortbildungsmerkmalen usw. Außerdem gab es leider immer wieder Fehler in den Übungen, die das Lösen der Aufgaben unmöglich machten. Lückentext mit zu wenig oder zu vielen Wörtern war oft der Fall. Eine zweite überarbeitete Auflage soll folgen. Ich kann sie kaum erwarten.

Das Highlight des Kurses sollte ein zweitägiger Ausflug gewesen sein. Wir erhielten – wie gewohnt – keine Informationen über diese Unternehmung, außer, dass sie während des Kurses stattfinden sollte. Irgendwann sickerten dann das ungefähre Datum und das Ziel durch: Ende der dritten Woche soll es nach Korça gehen. Wir erkundigten uns an jenem Montag bei unserer Dozentin. Sie war bisschen irritiert von unserer Fragerei. Wir werden ja alles rechtzeitig erfahren. Als sie erfuhr, dass ich aus mehreren Gründen nicht mitfahren will, versuchte sie mich mit zwielichtigen Argumenten zu überreden. Die Exkursion sei ein Bestandteil des Kurses. Deswegen findet sie am Donnerstag und Freitag statt. Es ist ja alles von der Uni (in meinem Fall von mir, ich musste ja in Vorkasse gehen) bezahlt. Deswegen gehört es sich nicht, wenn ich nicht mitfahre. Meine Gegenargumente, nämlich, dass ich Korça schon mehrmals besuchte und dass ich anderswertig beschäftigt bin, wurden nicht wirklich akzeptiert. Mein drittes und eigentlich triftigstes Argument habe ich für mich behalten: Die chaotische Organisation und die fehlenden Informationen! Ich war nicht bereit, an einer Exkursion teilzunehmen, von der ich so gut wie nichts wusste. Dazu hatte ich genug Erfahrungen auf dem Balkan gemacht. So blieb ich in Tirana. Wie ich feststellen konnte, war ich mit dieser Meinung nicht allein. Ich sah andere Kurteilnehmerinnen in Tirana während der Exkursion.

Wir hatten außerdem jeden Tag nach dem Sprachkurs verschiedene Vorträge von der Sprachwissenschaft über Geographie bis zum Journalismus. Einige waren spannend und / oder aufschlussreich, andere eigneten sich gut zum Hörverstehen. Aber sie alle hatten eine Sache gemeinsam. Egal welches Gebiet den wissenschaftlichen Rahmen des Vortrags bildete, ein Satz wurde jedes Mal als Totschlagargument für die jeweilige These angeführt: „Ihr wisst es bestimmt nicht, aber Albanien war ja lange ein abgeschottetes Land. Deswegen…“ Es wäre schon ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis, wenn jemandem, der seit Jahren Albanisch lernt, diese Tatsache bisher unbekannt geblieben wäre. Aber spätestens jetzt hatte er keine Chance mehr, sich diesem Stück albanischer Geschichte zu entziehen. Der Kurs wurde mit einer Prüfung beendet und wir bekamen eine Urkunde über das erreichte Niveau. Die Prüfungstests wurden wahrscheinlich nie korrigiert.

Mein Fazit: Wenn man Zeit und bisschen Geld hat (der Kurs ohne ein ominöses Stipendium vom Ministri i Arsimit kostete ca. 240 US Dollar samt Prüfungsgebühr) kann den Kurs mal machen. Er ist nett, unorganisiert, so halt, wie man es vom Balkan kennt. Man kann diese Zeit durchaus genießen, wenn man seine Erwartung gegenüber dem Kurs herunterschraubt, dafür aber die wunderschöne Landschaft genießt. Aber einmal reicht vollkommen.

Hinterlasse einen Kommentar